Wie plant man eine Hypnose-Sitzung bei einer unbekannten Symptomatik?

Ein Beitrag von Bernhard Trenkle

Im September fragte mich eine unserer neuen Praktikantinnen nach Schmerzkontrolle und Behandlungsmöglichkeiten von Endometriose. Da musste ich mich erstmal von ihr informieren lassen. Ich erfuhr, dass Frauen immer wieder 10 Jahre und mehr zu verschiedenen GynäkologInnen gehen und Endometriose oft sehr spät diagnostiziert wird – und dies obwohl die Krankheit erstaunlich häufig vorkommt. Die Schmerzen zu Zeiten der Regelblutung können extrem sein, sodass sie zu Erbrechen oder gar zu Ohnmacht führen können.
Mit dem Einverständnis der Praktikantin, stellte ich ihre Frage in die Email-Hypno-Liste der Milton Erickson Gesellschaft und hoffte auf den großen Erfahrungsschatz von mehreren tausend KollegInnen. Dabei kamen einige interessante Tipps, Hinweise und vor allem auch Erfahrungsberichte von Betroffenen. Parallel fragte ich direkt bei einigen internationalen Experten nach, wie Prof. Mark Jensen, vielleicht die Nr. 1 für Hypnose und chronischen Schmerz in der Welt. Eine weitere naheliegende Idee war, Prof. Walter Tschugguel, Uniklinik Wien, zu kontaktieren. Walter Tschugguel ist Professor für Gynäkologie und ein sehr erfahrener Hypnosefachmann.

Parallel zu dieser Recherche war ich als Präsident der International Society of Hypnosis mit dem gesamten Vorstand damit befasst, neue Richtlinien für das Hypnose-Training weltweit vorzubereiten. Die gesetzlichen Standards und Vorgaben in den verschiedenen Ländern der Welt sind so unterschiedlich, dass dies unterdessen ein extrem schwieriges Unterfangen ist. In den ethischen Richtlinien verschiedener Hypnose-Gesellschaften in der Welt stehen Sätze wie: Es ist unethisch etwas mit Hypnose zu behandeln, was ich ohne Hypnose nicht behandeln kann.

Das meint zum Beispiel, dass ich, nur mit Hypnose und ohne Hebammenausbildung, keine Geburtshilfeeinrichtung betreiben darf.
Also – darf ich mich dann als Psychologe und Hypnotherapeut überhaupt um eine medizinisch so rätselhafte Krankheit wie Endometriose kümmern?

Hier noch, mit dem Einverständnis der jungen Kollegin, Ausschnitte aus ihrer Selbstbeschreibung, um ihre Symptomatik zu erklären:

Gebärmutterschleimhautzellen sind außerhalb der Gebärmutter - warum genau wurde anscheinend noch nicht erforscht, es gibt verschiedene Theorien (z.B. sie wandern raus, oder es handelt sich um einen  Fehler des Immunsystems, das die sich von Anfang an falsch differenzierenden Zellen nicht erkennt und  entfernt). Auf jeden Fall wachsen sie sich irgendwo fest, häufig an anderen Organen, verursachen dort  Krämpfe und wollen sich ablösen, können das ja aber außerhalb der Gebärmutter nicht und bilden deswegen entzündete Verwachsungen & Geschwüre.

Problem daran:
- Schäden an Organen, an denen sich die Geschwüre festwachsen und entzünden

- sehr starke Schmerzen und Krämpfe, die sich durch den ganzen Körper ziehen (Bauch, Rücken, starke Schmerzausstrahlung in die Beine), dadurch häufig verursacht tagelanges Erbrechen auch ohne, dass etwas gegessen wird, Diarrhoe sowie Erschöpfung & Müdigkeit

- Schwindel, bei vielen Betroffenen auch Kopfschmerzen, kann bis zu Ohnmacht führen

- führt häufig zu Unfruchtbarkeit

Therapie:
- wenn möglich, Entfernung von Geschwüren durch Bauchspiegelung (häufig können nicht alle entfernt werden bzw. Organe werden dabei geschädigt)

- im Anschluss: Hormonbehandlungen zur Verlangsamung des Wachstums der Gebärmutterschleimhautzellen sowie Schmerztabletten

Bisheriger Verlauf:
Bei mir wurde nach meiner Selbstdiagnose die Bauchspiegelung gemacht, es konnten aber nicht alle Herde entfernt werden. Seither bin ich in Hormonbehandlung (Gestagenbehandlung mit Dinogest) und habe dadurch deutlich seltener und schwächere, erträglichere Schmerzen. Aufgrund der vielen & unschönen Nebenwirkungen der Medikamente sehe ich darin aber keine langfristige Lösung für die nächsten 10 Jahre und suche nach einer Alternative.

Wäre großartig, wenn wir mit Hypnose eine Besserung erreichen könnten!

Der Zufall wollte es, dass Sabine Fruth schon im Oktober bei uns am Institut ein Seminar zum Thema Körperreisen anbot. Sabine Fruth ist sehr erfahrene Allgemeinärztin, die über Jahrzehnte in ihrer Hausarztpraxis mit einer Vielzahl von Krankheiten zu tun hatte. Sie kam dann zur Hypnose und entwickelte da ihre eigene sehr effiziente Variante von imaginativen Körperreisen. Ihr Buch dazu ist in Vorbereitung. Sie hatte mir auch einiges an Behandlungsvorschlägen geschickt. Da waren Vorschläge dabei, bei denen ich dachte: Das kann Sabine selbst besser. Von daher fragte ich die Klientin, ob es ok wäre, das Thema im Seminar zu thematisieren.

Sabine Fruth hat dann das Konzept Körperreisen mit 3 Live-Demonstrationen am Thema Endometriose demonstriert. Wir haben diese Sitzungen mit unserer Drei-Kamera-Technik hochwertig aufgenommen und im Januar 2021 wird die erste dieser Sitzungen auf therapie.tv veröffentlicht.

Zum Ende des Praktikums habe ich dann noch 2 Sitzungen mit ihr gemacht und die vielen nationalen und internationalen Behandlungstips versucht zu verarbeiten. Eigentlich sind es drei Sitzungen. Bei der 3. Sitzung bin ich noch nicht sicher, ob ich mutig genug bin diese zu zeigen. Da habe ich etwas gemacht, was ich bisher in meiner ganzen Therapielaufbahn noch nie gemacht habe.

Die hauptsächliche Hypnose-Sitzung, mit der Zusammenfassung verschiedener Techniken, dauert über 40 Minuten. Die Praktikantin hat während des Praktikums auch bei einer Therapiesitzung mit einem Klienten mit lang chronifizierten Schmerzen hospitieren können. Sie hat sich dann diese Hypnose schon einmal als Soundfile gewünscht, um damit arbeiten zu können. Auch diese Sitzung wurde für therapie.tv aufgenommen.

Das Ganze ist also ein ziemlich komplexer Prozess und wir werden dann später im Jahr wissen, was es der Kollegin gebracht hat und vielleicht auch, was sich davon allgemein für Endometriose-Erkrankungen nutzen lässt. Eine weitere frühere Praktikantin aus Rottweil hat inzwischen nach dem Bachelor in Psychologie ins Medizinstudium gewechselt und ist dort im Rahmen einer Hiwi-Stelle in einem Projekt zum Thema Endometriose. Wie die Zufälle so spielen.

Im Rahmen der diesjährigen Online-Tagung der Milton Erickson Gesellschaft werde ich einen Workshop halten und werde dort schon mal mit einem kleinen Ausschnitt dieser langen Trance die theoretischen Grundlagen vermitteln. Nach dieser Jahrestagung werde ich dann noch online ein Ganz-Tages-Seminar zu Gunsten der MEG als Charity-Seminar halten: „Wie plane ich eine Sitzung bei einem Symptom, das ich nicht kenne.“ Vermutlich wird dann auch die Klientin dabei sein. Sie ist kurz vor Abschluß des Psychologie-Studiums und offensichtlich eine sehr talentierte angehende Psychotherapeutin. Vielleicht ist auch die andere ehemalige Praktikantin und jetzt Medizinstudentin dabei, um uns den neuesten Stand zu Endometriose zu vermitteln.

Dieser Prozess zeigt auch exemplarisch auf, was die Idee ist hinter und welche Möglichkeiten in dem Projekt therapie.tv stecken. Solche Seminarinhalte oder die Aufnahmen von anderen Anbietern wie www.auditorium-netzwerk.de erklären die Grundlagen und vermitteln theoretisches Wissen. Diese können auch einem größeren Kreis von KollegInnen und InteressentInnen offen stehen. Die konkreten realen Therapiesitzungen stehen unter Schweigepflicht und stehen nur dem Selbststudium von erfahrenen KollegInnen mit Zugangsberechtigung offen.